„Habt ihr ein Beispiel für ein Rezept aus dem Alltag?“ „Hefeteig!“
Mit dieser Reaktion am morgendlichen Frühstückstisch am Vatertag konfrontiert mache ich mir Gedanken, ob das Herstellen eines Hefeteiges eine typische chemische Reaktion ist. ‚Eher Nein‘ so mein Gedanke. Zwar stellen die Hefepilze aus Zucker und Stärke biochemisch Kohlendioxid her, welches für die besondere Lockerheit des Teiges sorgt. Und bei dem Erhitzen des Teiges im Backofen findet eine Denaturierung des eingesetzten Hühnereies und des Weizenproteins statt, die zu der gewünschten Stabilität des Teiges sorgt. Aber mal schauen…

Unterscheidet sich ein kulinarisches Rezept von einem chemischen Rezept? Es kommt ein bisschen drauf an.
Zur Visualisierung der chemischen Synthese verwendet mensch eine bestimmte Formelsprache: Reaktionsgleichungen, Strukturformeln, Summenformeln.

In meinen Chemie-Edutainment Kursen an Grundschulen verwende ich diese Formelsprache auch. Zwar stark vereinfacht, aber nicht falsch. Dadurch prägen sich Fachbegriffe auch bei den Kindern ein.
Auf der linken Seite der Gleichung stehen die Ausgangsstoffe (Edukte), auf der rechten Seite die Endstoffe (Produkte). Der Pfeil bedeutet, dass die Reaktion von links nach rechts abläuft.
Aus 2 Wasserstoffmolekülen H2 wird mit einem Sauerstoffmolekül O2 zwei Moleküle Wasser. Aus 6 Molekülen Sauerstoff O2 und einem Molekül Zucker (C6H12O6) werden 6 Moleküle Wasser und 6 Moleküle Kohlendioxid CO2.
Die Darstellung des Molekül in der Summenformel, z.B. H20 oder CO2 oder auch CaSO4 soll deutlich machen, aus welchen Atomen ein Molekül besteht. Die chemische Formel für Gips ist CaSO4. (Eigentlich enthält Gips noch ein paar Wassermoleküle, das habe ich aber vernachlässigt). In einem Molekül Gips ist ein Atom Kalzium, ein Atom Schwefel und 4 Atome Sauerstoff enthalten.

Woher weiß mensch das denn – und kann Gips nicht auch mal aus mehr oder weniger Kalzium, Sauerstoff oder Schwefel bestehen?
Nein, und das ist vielleicht ein Unterschied zur Kulinarik. Ein Hefeteig kann mal aus mehr Ei oder mal aus weniger Butter bestehen. Wird jedoch Gips hergestellt, besteht die resultierende chemische Verbindung immer aus dem gleichen Verhältnis Ca:S:O nämlich 1:1:4.
Diese Gesetzmäßigkeit, insbesondere dass Substanzen immer in proportional gleichen Gewichtsanteilen miteinander reagieren, wurde im 18. Jahrhundert erkannt und ist für mich einer der Momente in der Geschichte, in der die Chemie die Alchemie endgültig abgelöst hat. Denn diese Proportionalität von Reaktionsteilnehmen führte zwangsläufig zu wichtigen Erkenntnissen über den Aufbau von chemischen Verbindungen: Anfang des 19. Jahrhunderts formulierte John Dalton das Gesetz der multiplen Proportionen: „Wenn zwei Elemente verschiedene chemische Verbindungen bilden können, stehen die Massen des einen Elements, die sich mit einer gleichbleibenden Masse des anderen Elements verbinden, zueinander im Verhältnis kleiner ganzer Zahlen“.

Kochsalz kann immer nur NaCl sein, Gips immer nur CaSO4, Der Farbstoff Berliner Blau immer nur Fe4[Fe(CN)6]3 und 1 Molekül Noradrenalin besteht immer aus 8 Kohlenstoffatomen, 11 Wasserstoffatomen, 1 Stickstoffatom und 3 Sauerstoffatomen. (Die Herstellung komplizierter chemische Stoffe ist jedoch leider nicht so einfach. Wenn jemensch 8 Kohlenstoffatomen, 11 Wasserstoffatomen, 1 Stickstoffatom und 3 Sauerstoffatomen zusammen in einen Topf schmeisst, wird sicher nicht die Verbindung Noradrenalin entstehen. Aber zu der Struktur von chemischen Verbindungen schreibe ich gerne ein anderes Mal.)
Chemie ist also nichts unbestimmtes mehr, nicht mehr von Glück oder göttlichem Segen oder alchemistischer Reinigung abhängig. Sondern basiert auf naturwissenschaftlichen Grundgesetzen. Und das finde ich beruhigend und wunderschön. Genau wie das Gefühl eines noch leicht warmen Hefekuchens vor mir auf dem Frühstückstisch.