Gedanken aus dem Foodsaving

Mindesthaltbarkeit und Grenzwerte – nach einem Foodsaving-Erlebnis habe ich einige Gedanken dazu…

Vor einigen Tagen konnte ich wieder Lebensmittel retten. In dem kleinen Dorf, in dem ich lebe, organisiert eine engagierte Gruppe von Menschen die Verteilung von Lebensmitteln, die ansonsten vom Handel in den Abfall gebracht würden. Die Geschäfte sind Partner und stellen die Lebensmittel zur Verfügung. Ich finde das eine tolle Sache und freue mich, wenn ich dadurch zur Vermeidung vom Abfall beitrage und dazu noch gute und leckere Lebensmittel bekomme. Ok, bei einigen Lebensmitteln ist ab und zu das Mindesthaltbarkeitsdatum sehr nah oder  auch schon überschritten. Aber damit kann ich umgehen. Es bringt mich sogar zu einer These, die ich in diesem Beitrag mit euch teile.

Das Mindesthaltbarkeitsdatum auf einem Tetrapack Milch.

Sind toxikologische Grenzwerte das gleiche wie Mindesthaltbarkeitsdaten auf Lebensmitteln? These: Es gibt eine Parallele, denn beide beschreiben eine Zeitpunkt oder eine Konzentration, also ein technischer Parameter, bis zu dessen Überschreitung kein oder nur ein sehr geringes Risiko besteht. Etwas genauer:

Das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) ist nach der Verbraucherzentrale der „Zeitpunkt (…), bis zu dem der Hersteller garantiert, dass das ungeöffnete Lebensmittel bei durchgehend richtiger Lagerung seine spezifischen Eigenschaften, wie Geruch, Geschmack und Nährwert behält. (…) Hinzu kommt, dass manche Hersteller das MHD frühzeitig festlegen, um auf Nummer Sicher zu gehen.“ (1) In dem Kontext gibt es noch das Verbrauchsdatum, das den letzten Tag beschreibt, an dem das Lebensmittel noch verkauft und verzehrt werden darf.

Der (toxikologische) Grenzwert beschreibt eine Konzentration von Stoffen in Produkten, bis zu dieser kein Schadenseffekt beim Menschen beobachtet wird. Produkte können Lebensmittel oder andere Produkte des Alltages sein, wie zum Beispiel Waschmittel, Malkreide oder Plantschbecken. Diese Grenzwerte basieren auf zwei Dingen: 1. Toxikologischen Studien, die ermitteln, bis zur welcher Konzentration kein Effekt auftritt und ab welcher niedrigsten Dosis noch ein Effekt beobachtet wird und 2. Sicherheitsfaktoren von 100 oder 1000, um das Risiko für den Menschen noch mehr zu verringern.

 NOAEL = No Observed Adverse Effect Level / Dosis ohne beobachtete schädliche Wirkung,
LOAEL = Lowest Observed Adverse Effect Level / niedrigste Dosis mit beobachteter schädlicher Wirkung,
DNEL = derived no-effect level / abgeleitete Expositionshöhe, unterhalb derer der Stoff zu keiner Beeinträchtigung der menschlichen Gesundheit führt,
LD50 = Lethal Dose, Konzentration bei der 50% der Versuchstiere sterben.
Bildquelle: (2)

Das Risiko ergibt sich aus der Gefährlichkeit eines Stoffes und der Möglichkeit, diesem Stoff ausgesetzt zu sein. Risiko = Gefahr x Exposition. Gute Info dazu bietet auch die Seite des Bundesamt für Risikobewertung BfR. (3)

Und warum sind diese beiden Regelungen vergleichbar?

Wegen dem Effekt auf die Gesellschaft.

Bei Lebensmittel, zum Beispiel Milch, schließt der Hersteller nicht aus, dass vor Überschreitung des Mindesthaltbarkeitsdatums irgendwelche Keime in der Milch drin sein können. Nach besten Wissensstand kann vor Erreichen des MHD trotzdem davon ausgegangen werden, dass es keine Beeinträchtigung des Lebensmittels oder der Gesundheit des Menschen gibt. Auch bei der Diskussion über Grenzwerte kann man sicherlich nicht ausschließen, dass gefährliche Stoffe enthalten sind. Aber es ist nicht von gefährlichen Effekte auszugehen, bevor man den Grenzwert erreicht hat.

Wie sieht es bei Überschreitung der Parameter aus? Nicht jede Überschreitung eines (toxikologischen) Grenzwertes führt dazu, dass sofort Effekte zu sehen sind. Man hat einen Puffer bei der Risikobewertung eingebaut und die Effekte betreffen nicht immer jeden Menschen, sondern die Wahrscheinlichkeit steigt nur, dass jemand betroffen sein kann. Trotzdem ist es natürlich Ziel jedes Menschen oder jeder Firma, der Umgang mit Chemikalien hat, eine Grenzwertüberschreitung zu verhindern. Und zu diesem Zweck gibt es sehr viele Regelungen und Überprüfungen in diesem Bereich.

Im Vergleich dazu ist es auch so, dass bei Überschreitung des MHDs nicht so ist, dass ein Lebensmittel direkt schlecht ist. In den allermeisten Fällen hat man überhaupt keinen Effekt, bzw. die Menge an Keimen ist nicht direkt so hoch, dass man krank davon werden würde.

Vergleichbar ist auch der Effekt den toxikologische Grenzwerte und das MHD in der öffentlichen Wahrnehmung spielen. So wirkt ein MHD psychologisch wie eine Grenze, die man nicht überschreiten sollte. Und auch toxikologische Grenzwerte wirken wie eine Grenze, die man auf keinen Fall überschreiten darf. Und viele Menschen haben ein ungutes Gefühl, in einer Umwelt zu leben, in der Grenzwerte überschritten werden oder auch Lebensmittel zu essen, deren MHD überschritten ist. Der psychologische Effekt, bzw der Effekt auf den Kunden oder Benutzer eines Produktes empfinde ich als sehr vergleichbar.

Was bedeutet das für mich?

Mir bedeutet das MHD etwas. Und mir bedeuten auch toxikologische Grenzwerte etwas. Da schaue ich genauer hin. Und überlege mir, wie ich damit umgehen kann. In manchen Fällen kann ich gut damit umgehen, weil ich das Wissen dazu habe. Ich habe Erfahrung im Verzehr von Milchprodukten und durch meine berufliche Tätigkeit habe ich auch Erfahrung mit toxikologischen Grenzwerten von bestimmten Substanzen, in meinem Fall sind es die Weichmacher. Wenn ich etwas nicht selbst bewerten kann, bin ich vorsichtig.

Ich bin entspannter geworden. An den abgelaufenen Lebensmitteln rieche ich, schaue sie mir an und probiere sie auch. Gehe also recht selbstbewusst und nicht ängstlich an die Sache. Bei Grenzwerten schaue ich immer häufiger darauf, was die Grenzwerte wirklich bedeuten, ob sie relevant für mich sind. Auch da hat sich meine Angst vor Chemie in Produkten stark abgebaut, weil ich mich mit den Regularien und Hintergründen beschäftigt habe und nicht immer nur die Überschriften lese.

Chemie-Edutainment Ostern 2023 in einer Grundschule in Leverkusen. Bild: Pia Leandra Rodermond

Was denkt ihr darüber?

Wie wirken sich MHD auf euren Konsum von Lebensmitteln aus und wie groß ist eure Sorge, wenn ihr erfahrt, dass in einem bestimmten Produkt eures Alltags gewisse Grenzwerte kurzzeitig überschritten werden? Schreibt mir eure Gedanken – ich bin gespannt.

Mit hoffentlich effektvollen Grüßen,

Hendrik Fischer

P.S. Die eigentliche Ursache meines Blogbeitrages soll nicht untergehen: Lebensmittelrettung! Wer Lust hat, sich mit unkonventioneller und nachhaltiger Lebensmittelrettung zu beschäftigen, kann gerne im Internet nach #Foodsharing oder #Foodsaving suchen. Es gibt einige lokale und auch überregionale Organisationen, die Informationen zur Verfügung stellen und das Retten von Lebensmitteln organisieren. Bestimmt auch in eurer Nähe.

(1)https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/lebensmittel/auswaehlen-zubereiten-aufbewahren/mindesthaltbarkeitsdatum-mhd-ist-nicht-gleich-verbrauchsdatum-13452 (30.04.2023)

(2)https://www.chemsafetypro.com/Topics/CRA/How_to_Derive_Derived_No-Effect_Level_%28DNEL%29.html (30.04.2023)

(3)https://www.bfr.bund.de/de/toxikologische_studien_und_grenzwerte-53044.html (30.04.2023)

Die Chemie des Reibekuchens

Reibekuchen – wer mag sie nicht?

Aber habt ihr euch schon mal Gedanken gemacht, was chemisch passiert, bevor ihr in einen saftig knusprigen Reibekuchen beißen könnt?

Es war letzten Sonntag, mein sehr netter Nachbar lud mich und meine Familie spontan zum Reibekuchen Essen ein. Und als ich dann in der Sonne stand und Reibekuchen auf einem Gasofen im Garten briet, dachte ich an die vielen chemischen Reaktionen, die dabei ablaufen. Und nicht nur chemische Reaktionen konnte ich beobachten, sondern auch einige Energieumwandlungen:

Da ist zunächst die Verbrennung des Gases. Propan reagiert mit dem Luftsauerstoff unter Bildung von Kohlendioxid und Wasser.

Die Stoffumwandlung, das heißt die chemische Reaktion ist  einfach erklärt. Bindungen zwischen den Atomen werden aufgebrochen und neue Bindungen geknüpft. Aus zwei Gasen (Propan und Sauerstoff) entstehen ein Gas und eine Flüssigkeit, die letztere verdampft jedoch auch bei den hohen Temperaturen. Würde keine Energie frei werden, würde ich die Reaktion gar nicht bemerken. So aber sehe ich eine Flamme und spüre die Hitze. Licht und Wärme sind beides bestimmte Energieformen. Licht sind energiereiche Photonen oder Wellen, und Wärme ist die Bewegung von Teilchen. Die chemische Energie, die in den Ausgangsmaterialien als Bindungsenergie drin steckt, wandelt sich zum Teil in Energie in Form von Licht und Wärme um.

Propangasflamme, Quelle: Wictionary

Faszinierend finde ich, dass im anschließenden Schritt diese Energien wieder gewandelt werden. Und zwar beim Reibekuchenbraten.

Durch die Hitzezufuhr, d.h. in dem Energie in ein System gesteckt wird, findet eine chemische Reaktion im Reibekuchenteig statt. Wasser verdampft. Die Eiweise (auch Proteine genannt), die durch die zwei Eier im Teig vorliegen, beginnen irreversibel zu denaturieren. Bei diesem recht komplexen Vorgang werden Bindungen im Protein aufgebrochen und wieder neu geknüpft, das Protein faltet sich anders, wird weniger löslich, verklumpt. Mit dem gewünschten Effekt, dass der flüssige Teig immer fester wird, bis hin zum fertigen Reibekuchen.

Braten = Energiezufuhr, die eine chemische Reaktion auslöst

Es passieren auch weitere chemische Reaktionen, die mal mehr mal weniger gewollt sind: Beim Rösten von stärkehaltigen Produkten wie z.B. Reibekuchen oder Pommes Frites soll eine angenehme Bräunung und die Bildung von Röstaromen erreicht werden. Das Rösten ist eine Zersetzungsreaktion der Stärkemoleküle, die leider auch zur Bildung von Acrylamid führen kann. Ein Stoff, der von der europäischen Chemikalienbehörde ECHA als besonders besorgniserregend, krebserzeugend und erbgutverändernd eingestuft wird.

Strukturformeln von Acrylamid, Quelle: Wikimedia

Auf stofflicher Ebene passieren beim Braten des Reibekuchens also einige chemische Reaktionen (Zersetzung von Stärke, Denaturierung von Eiweis). Und Wärmeenergie wird zum Teil wieder in chemische Energie, d.h. Bindungsenergie umgewandelt.

Beim anschließenden Glas Wein dachte ich daran, dass die Gesamtheit von Masse (Materie) und Energie in einem geschlossenen System immer gleich bleibt. Materie kann in andere Materie und Energie umgewandelt werden. Energie kann sich von der einen in eine andere Form umwandeln und auch wieder in Materie transformieren. Dieser 2. Hauptsatz der Thermodynamik und die Relativitätstheorie bilden die Grundlage unseres naturwissenschaftlichen Verständnisses für die Phänomene der Natur.

Und ist es nicht beruhigend, dass es so ist und wir diese Grundlagen auch in den alltäglichsten und schönen Dingen unseres Lebens, wie beim Reibekuchenbraten erkennen können?

Euer Hendrik Fischer

Wein als Genussmittel, Gefahrstoff und Inspirationsquelle für Gedanken über Chemie